Der Winter ist Kastanienrot - Prolog

Eine Welle taucht meinen Kopf unter Wasser. Ich strampele mit Armen und Beinen, schwimmen kann man es kaum mehr nennen. Es ist nicht mehr als der Versuch, an der Oberfläche zu bleiben, während mich meine von Salzwasser getränkte Jeans in die Tiefe zieht. Ich schlucke immer mehr Wasser. Mir bleibt kaum Zeit, zu atmen, da klatscht mir auch schon die nächste Ladung ins Gesicht. Nicht husten. Bloß nicht husten.

Die Küste ist nur ein schmaler Streifen am Horizont, der nicht näher kommt. Egal, wie lange ich darauf zu schwimme. Ich zittere am ganzen Leib. Vor Kälte, vor Angst, vor Erschöpfung. Ich werde es nicht schaffen.

Wenn man einen bestimmten Punkt überschritten hat, lange genug gegen die Wellen angeschwommen ist, hört das Meer auf, einen zurück ans Ufer spülen zu wollen. Wenn du so weit gekommen bist, denkt es, dann kannst du bei mir bleiben. Das Meer lernt dich lieben und saugt dich immer weiter zu seiner Mitte. Dort wollte ich hin. Oder etwa nicht?

Ich kann durch meine tränenden Augen kaum etwas erkennen. Der Strand scheint in immer weitere Ferne zu rücken, je länger ich darauf zu schwimme. Das Meer ist stärker als ich. Es zieht mich zu sich. Es will zu Ende bringen, was ich angefangen habe.

Mit geschlossenen Augen kämpfe ich weiter gegen das Unvermeidliche an, ich habe längst keine Kraft mehr. Der Druck auf meinen Brustkorb ist kaum noch zu ertragen, ich kann nicht mehr atmen. Bald werde ich aufhören, mich zu bewegen. Meine Arme und Beine sind schwer wie Blei. Ich werde geschehen lassen, was längst nicht mehr zu verhindern ist. Ich werde meinen Körper an das Meer abtreten, das ihn so verzweifelt zu sich zu ziehen versucht. Ich werde den Wellen mein Leben schenken, die mich sanft und doch grausam in den Schlaf wiegen wollen. Noch schwimme ich. Noch kämpfe ich. Und noch eine Welle taucht meinen Kopf unter Wasser.